BAGAGE News N° 3 vom 01.02.2023
Hilfe, wir haben Hortkinder
Ein Interview zum Rechtsanspruch
Satire von Michael Fink
Noch mehr Plehmobil! Ein Eifohn! Erpotz für mein Eifohn! Heutige Kinder haben immer höhere Ansprüche. Jetzt kommt noch einer dazu: Ab dem Schuljahr 2026/27 hat jedes Kind, das eingeschult wird, einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz während der Grundschulzeit. Muss irgendwer irgendwas tun, um diesem Anspruch gerecht zu werden, vielleicht sogar der knauserige Ortsbürgermeister von Tupfeldingen? Alle wichtigen Fragen klärt dieses Interview – zum Glück mit einem total erfundenen Experten für diese ergänzende Nachmittags-Schulkindbetreuung oder wie immer das jetzt heißt. Gut, dass es nur Satire ist, die alles darf…
In unserer Schule wurde ein Befall von sogenannten „Nachmittagskindern“, auch „Horties“ oder im Amtslatein „Grundschulkind mit Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung“ festgestellt. Muss mich das beunruhigen?
Grundsätzlich ist erst mal Ruhe angesagt. Viele andere Länder kennen das Problem schon länger, dass altgediente Schulgebäude plötzlich von nachmittäglichen Schulkindern befallen werden, teilweise sogar in Ferien. Nachdem man jahrelang versucht hat, den Befall in Grenzen zu halten, versucht man heute vielerorts erfolgreich, sich mit den neuen „Bewohnern“ gut zu arrangieren.
Wovon ernähren sich diese Hortkinder? Muss ich jetzt besondere Futterangebote machen?
Richten Sie auf alle Fälle einen Futterplatz ein. Gut geeignet ist zum Beispiel ein unbenötigter Seitenkeller ihres Schulhauses, wo sie mit ausgedienten Stühlchen und Tischen schnell eine sogenannte „Mensa“ zusammengestoppelt kriegen. Als Nahrungsangebot bieten sich einfache, möglichst stark verkochte Speisen an – wir empfehlen montags bis donnerstags Brühnudeln mit Götterspeise, Freitags hingegen ist Fischfilet zu reichen, um den Kindern anderer Herkunft die Grundbausteine unser Kultur zu vermitteln. Unser Tipp: Vermeiden Sie gewürzte oder gar appetitliche Speisen, um die kleinen Plagegeister über die sogenannte Essensabmeldung schnell wieder loswerden zu können. Eine sogenannte „Essensaufsicht“ mit markigen Sprüchen („Alles aufessen, auch das Gemüse!“) und eine robuste Küchenfrau mit großer Schöpfkelle unterstützen diese Anliegen.
Brauchen diese Horties irgendwelche besonderen Beschäftigungsangebote?
Wenn Horties über Stunden in engen Räumen und auf kahlen Schulhöfen gehalten werden, können diese an sich possierlichen Lebewesen sehr anstrengend werden. Erfahrene Ganztageskinderbetreuung kennen diesen ganz einfachen Trick: Mit den Lehrern überlange Hausaufgaben verabreden. Horties in einen sogenannten „ablenkungsarmen Hausaufgabenraum“ sperren und ein Verlassen nur bei vollständiger und selbstständiger Erledigung der Hausaufgaben in Aussicht stellen. Auf Fragen: „Wie rechnet man denn plus?“ nur die Schultern zucken und murmeln: „Ich bin vom Hort, ich muss das nicht können…“
In Kindertagesstätten gibt es doch diese sogenannten pädagogischen Standards. Brauchen diese Hortkinder auch sowas?
Absolut. Ohne Standard keine Pädagogik. Bieten Sie also bitte absolutes Standardprogramm – und keinen Luxus.
Braucht man besonderes Fachpersonal zur Betreuung dieser Hortkinder?
Grundsätzlich dürfen nur ausgebildete Fachkräfte Hortkinder betreuen, wobei auf maximal 20 Horties zwei Vollzeitfachkräfte kommen sollten. „Sollten“ heißt: In Zeiten mit Personalmangel wie derzeit dürfen diese zwei Vollzeitfachkräfte ausnahmsweise durch eine Halbzeitfachkraft sowie eine Vollzeitnichtfachkraft ersetzt werden. Fehlen nachweisbar geeignete Halbzeit-Fach- und Vollzeitnichtfachkräfte, können ersatzweise drei Nichtvollzeitnichtfachkräfte zusammen mit einer Halbzeitüberhauptnichtfachkraft die Kinder betreuen. Falls es diese auch nicht gibt, wie es sich aufgrund des bis 2060 prognostizierten Erzieher*innenmangels abzeichnet, können die Kinder ausnahms- und ersatzweise auch durch folgendes Personal betreut werden: Die kinderliebe Gattin vom Ex-Hausmeister. Eine gut programmierte Smartwatch mit Überwachungsfunktion. Eine zufällig vorbeikommende Mutter, die eh noch warten muss, bis Laura genug Englisch fertig hat. Oder sie nutzen das Modell der peer to peer-Betreuung: Der durchsetzungsstarke Viertklässler Marvin übernimmt mit seiner Kindergang „Die wüsten Kerle“ die Aufsichtsführung.
Viele Horties verbringen in der Nachmittagsbetreuung voraussichtlich mehr Wachzeit als in der familiären Wohnung. Muss sich dieser Grundsatz in der Gestaltung der Horträume niederschlagen?
Absolut! Viele Kinder wachsen heute in prekären, beengten Wohnverhältnissen auf. Andere erleben von Kindesbeinen an gleichförmige gestaltete Vorstadthäuser mit geschmackloser Einrichtung, gelegen in einem wenig kindgerecht gestalteten, naturfernen Umfeld. Hortkinder haben das Recht, dieses vertraute Bild auch in entsprechend lieblos gestalteten Schulräumen mit großzügig asphaltierten Schulhöfen vorfinden. Insofern besteht glücklicherweise wenig Investitionsbedarf beim Umbau unserer Schulgebäude.
Nochmal zum Anfang: Wieso nennt man dieses „Betreuungsangebot für Kinder mit Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung“ eigentlich Hort? Hat das was mit dem Hort der Nibelungen zu tun, diesem sagenumwobenen, von Hagen von Tronje im Rhein versenkten Goldschatz?
Hm, Goldschatz? Ich weiß nicht. Eher kommt der Begriff vom Verb „horten“. Also wenn man Dinge, mit denen man nichts rechtes anzufangen weiß, massenhaft in einer alten Garage sammelt. Manche sagen ja auch „bunkern“ dazu….