Hier finden sich die Langfassungen der Fachartikel aus den BAGAGE News, die etwa alle zwei Monate erscheinen. 
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BAGAGE News N° 6 vom 13.09.2023

Schwieriger Neuanfang

Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita ohne Therapeut:in

von Friedemann Köngeter

„Auch in unserer Kita haben wir Flüchtlingskinder, die traumatisiert sind. Leider wird man doch sehr allein gelassen und findet nur schwer Hilfe“ schreibt uns eine Erzieherin und bringt damit eine Ratlosigkeit zum Ausdruck, die wohl in vielen Kitas herrscht, seit die Zahl der Geflüchteten wieder ansteigt. Grund genug, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und danach zu fragen, wie Pädagog:innen mit ihrem normalen fachlichen Rüstzeug mit dieser Situation umgehen können.

Seit der Migrationswelle von 2015 sind einige Artikel zum Thema erschienen, die mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wieder an Aktualität gewonnen haben. Einig sind sich alle Autor:innen, dass es sich bei Geflüchteten um einen äußerst heterogenen Personenkreis handelt, nicht nur was die Eltern, sondern auch was die Kinder betrifft. Geflüchtete kommen aus völlig verschiedenen sozialen Schichten, kulturell-religiösen Hintergründen und haben auch von ihrer Bildungsgeschichte her sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Zwei Themen stehen aber sowohl in den Texten wie auch bei den persönlichen Gesprächen immer wieder im Vordergrund: Das Sprachproblem und die psychische Belastungssituation. 

Keine gemeinsame Sprache zu haben ist ein Haupthindernis für jede Form der interkulturellen Verständigung. Dieser Schwierigkeit ist vonseiten einer Kita nur mit einer einzigen bekanntermaßen knappen Ressource zu begegnen und die heißt Zeit. Das gilt nicht nur für den Umgang mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern. Dier Psychotherapeutin Ulrike Kreis weist darauf hin, dass migrantische Eltern oft keine Vorstellung davon haben, was ein Kindergarten ist, wie er funktioniert und wofür er gut ist. Dazu kommt zuweilen noch eine allgemeine Skepsis gegenüber Institutionen aus schlechter Erfahrung heraus. Es kann dauern, deren Vertrauen zu gewinnen.

Die Supervisorin Heike Baum rät zur gebärdenunterstützten Kommunikation. Die Grundlagen dafür seien an einem einzigen Seminartag erlernbar und sie wird zum Beispiel auch in der Kommunikation mit Kindern mit Einschränkungen praktiziert. Kinder erlernen Sprachen zwar leichter als Erwachsene, aber auch für sie ist es wichtig, manchmal in ihrer Erstsprache kommunizieren zu können. Gut ist, wenn Pädagog:innen da sind, die übersetzen können, oft ist das aber nicht der Fall. Frau Baum plädiert dafür, dass fremdsprachige Pädagog:innen für einige Wochenstunden frei gestellt werden, um bei Bedarf in anderen Einrichtungen Übersetzungsarbeit zu leisten. Eine ausgezeichnete Idee!

„Posttraumatische Belastungsstörung“ ist ein Begriff, der uns in unserer halbwegs heilen Welt zurecht Furcht einflößt. Wie sollen wir bloß mit traumatisierten Menschen umgehen, wenn wir doch gar keine Therapeut:innen sind? Es gibt zwar Quellen die nahelegen, dass traumabedingte belastende Verhaltensweisen bei geflüchteten Kindern die Ausnahme und „keinesfalls die Regel“ seien (Christiane Hofbauer, Herder). Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass viele geflüchtete Kinder unsägliche Grausamkeiten erlebt haben, sei es im Herkunftsland oder auf der Flucht. Auch Heike Baum sagt, wir können uns kaum vorstellen, was es für ein Kind bedeutet, „von Schleppern auf irgendein Boot geschmissen zu werden, von den Eltern getrennt, alles muss sehr schnell gehen, Eltern wie Kinder sind komplett ausgeliefert.“ Es ist gerade diese völlige Machtlosigkeit der Eltern, die traumatisiert. Eltern sind idealerweise Stabilitätsanker in der Welt des Kindes. Der totale Kontrollverlust auch der Eltern bedeutet einen Zusammenbruch des Weltbildes, wie auch immer es vorher aussah. Ein dauerhafter Stresszustand beschädigt das „neuronale Material“ (Dima Zito, www nifbe.de). Ist der Umgang mit solchen Kindern also eine unlösbare Aufgabe für normale Pädagog:innen?  

Nicht jedes schlimme Ereignis führt zu einer Traumafolgestörung. Wichtig ist, welche „Schutzfaktoren“ dem Kind zur Verfügung stehen. Dazu gehört in erster Linie die soziale Unterstützung im neuen Alltag. Hierfür ist keine spezielle Ausbildung notwendig, sondern die ganz normale Zugewandtheit, die auch andere Kinder brauchen. Nun kommt wieder die Ressource Zeit ins Spiel. Von der brauchen Pädagog:innen im Umgang mit geflüchteten Kindern und deren Eltern tatsächlich viel mehr als mit denen, die sich sowieso schon sicher in einer sicheren Umgebung bewegen. 

Alle Autor:innen betonen, dass die „Kita als sicherer Ort“ entscheidend für die weitere Entwicklung ist. Das bedeutet, dass Kinder sich sowohl in sozialer als auch in räumlicher Hinsicht geborgen fühlen können. Helle gemütliche Räume, Rückzugsmöglichkeiten, Kuscheltiere als „Seelentröster“ und Kuschelecken gehören dazu. Die Supervisorin Heike Baum rät dazu Reizüberflutung zu verhindern, der Raum solle nicht vollgepackt mit verschiedensten Spielsachen sein. Lieber wenige unterschiedliche Dinge (Bauklötze, Legos…) und dafür in der Menge reichlich. 

Anna Maria Hoffmann betont auf der Seite „Kita-Fuchs“ die Wichtigkeit von Ritualen. Sich wiederholende Vorgänge etablieren Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, im besten Falle auch Selbstwirksamkeit. Das sind genau die Dinge, deren Verlust für Kinder traumatisierend wirkt. Eine Art von Ordnung herzustellen, ist von unschätzbarer Wichtigkeit. Zum Thema Selbstwirksamkeit betont auch Heike Baum, dass es wichtig sei, den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich „ihrer selbst wieder zu bemächtigen“. Also Selbstwirksam ihren Tag selbst gestalten, Orientierungspunkte im Alltag sind wichtig für Kinder, sie können aber immer nur ein Angebot an das Kind sein. 

Auch wenn all dies beachtet wird, kann es zu Flashbacks traumatischer Erlebnisse kommen. Nun kommt es darauf an, selbst ruhig, zugewandt und gelassen zu bleiben. Zurück ins hier und jetzt ist die richtige Richtung. Kleine Achtsamkeitsübungen können dabei helfen.  

Es ist leider zu erwarten, dass die Zahl der flüchtenden und geflüchteten Menschen weltweit eher zunehmen wird. Die wenigsten von ihnen kommen in Europa an. Alle tragen schweres Leid mit sich und die meisten davon würden von einer traumatherapeutischen Behandlung profitieren. Natürlich kann das keine aufnehmende Gesellschaft leisten. Eine Gesellschaft ohne Personalnotstand in den Kindergärten könnte aber immerhin genug Zeit aufwenden, um geflüchteten Kindern mit aller Geduld und Zugewandtheit zu ermöglichen, neues Vertrauen in die Welt zu finden. 

BAGAGE-Fortbildung zum Thema:

14.10.2024     Ulrike Kreis: Kinder mit Fluchterfahrung

 

 

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Peter Rist: Ich habe mich 1987 um eine Stelle bei der Kindergruppe in der FABRIK beworben und die Elternversammlung sollte über meine Einstellung beschließen. Da wurde ich sehr intensiv befragt, auch nach meiner politischen Gesinnung. Es hat mich tatsächlich an die Gewissensprüfung zur Kriegsdienstverweigerung erinnert. Eigentlich war ich ziemlich unter Druck, einen Job zu finden, das erste Kind war schon da. Ich konnte aber trotzdem relativ locker bleiben und bekam schließlich die Stelle.

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