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BAGAGE News N° 7 vom 19.02.2024

Weil die Arbeit Spaß machen darf

Positive Pädagogik in der Kita

von Hannah Winkler

„Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll“, „Mir graut es davor, morgens in die Gruppe zu kommen, falls meine Kollegin wieder krank ist“ oder auch „Es bringt doch eh nichts“ – Diese drei Aussagen spiegeln eine Menge Frust, vielleicht auch schon Resignation von pädagogischen Fachkräften, wenn sie über ihren Kita-Alltag berichten. Auf die belastenden Faktoren brauchen wir hier nicht noch einmal einzugehen, denn Fakt ist: Sie sind da. Und sie sorgen dafür, dass man an alles denkt, aber am wenigsten daran, dass die Arbeit auch Spaß machen darf – und das vielleicht sogar einmal der Fall war. Früher.

Doch was passiert mit und in uns, wenn diese Gedanken überhandnehmen: „Ich kann sowieso nichts bewirken“, „Der Träger ist verantwortlich“ oder „Die Leitung muss sich kümmern“? Wir machen unser Wohlbefinden abhängig von anderen. Es hängt von anderen ab, wie es uns geht, und damit auch, wann es uns gut geht oder ob es uns überhaupt gut geht. 

Diese Gedanken sind verständlich, denn in der Regel sitzen andere am längeren Hebel und treffen die Entscheidungen für oder gegen die Fachkräfte in den Einrichtungen. Doch was wäre, wenn wir einen Bereich hätten, über den wir frei verfügen könnten, den wir gestalten und über den wir entscheiden? Und diesen Bereich gibt es: in unserer täglichen Arbeit mit Kindern, in unserer Haltung, unserem Miteinander und den vielen kleinen, fast unscheinbaren Momenten, die den Kita-Tag ausmachen. Was wäre, wenn dir niemand diesen Bereich nehmen könnte? 

Die Positive Pädagogik wurde von Olaf-Axel Burow, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel (bis 2017), Gestalttrainer, Kreativitäts- und Zukunftsforscher, für das Schulsystem entwickelt. Ihm ist wichtig, dass sich Lehrkräfte von dem defizitären Blick auf Kinder lösen und durch wertschätzende Beziehungen und Umgebungen dazu beitragen, dass den Kindern das Lernen Freude bereitet.[1] Anke Elisabeth Ballmann schrieb in dem letzten Kapitel ihres Buchs „Seelenprügel“ über Positive Pädagogik und die Bedeutung eines liebevollen Umgangs miteinander.[2] Die Januarausgabe 2023 von „kindergarten heute“ griff diese Impulse in verschiedenen Beiträgen auf und fasste bekannte und neue Gedanken zusammen, um Fachkräften die Positive Pädagogik auch als Ansatz für die Kita vorzustellen.[3] Die beiden Leitfragen sind: Was wäre, wenn Pädagogik Spaß machen würde? Woran würden wir das erkennen? 

Wenn wir noch einmal einen Blick auf die einleitenden Fragen werfen, wird klar, dass sich pädagogisch gute Rahmenbedingungen nicht einfach herzaubern lassen. Auch auf die Krankheit der Kollegin haben wir keinen Einfluss. Wir können aber festlegen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten können, weil es machbar und leistbar ist und wo unsere Grenze erreicht ist. Diese Grenze klar zu kommunizieren und für uns einzustehen ist wichtig für das eigene Wohlbefinden. Fachkräfte, die über ihre persönliche Grenze hinaus gehen, gefährden auf Dauer ihre Gesundheit und das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Kinder. 

Stell dir vor, du kommst morgens freudig in die Gruppe: Wie begrüßt du die Kinder? Wie reagierst du auf sie, wenn sie a) aus Versehen einen Becher umwerfen, b) beim wilden Spiel in den Turm fallen, den ein anderes Kind mühevoll aufgebaut hat, c) immer noch nicht ihre Jacke allein anziehen können und d) Eltern haben, die wieder das Anmeldeformular vergessen haben? Und nun stell dir vor, du startest schlecht gelaunt oder missmutig in den Tag. Was macht das für einen Unterschied? Woran merkst du das? Wie verändert sich deine Redaktion auf die Situationen a, b, c und d?

Nun liegt zwischen der auslösenden Situation (Kind schmeißt den Becher um) und unserer Reaktion immer ein kurzer Moment, in dem wir die Situation einordnen und bewerten und daraus unsere Handlung ableiten. Hier liegt also die Freiheit zu entscheiden: Wie reagiere ich darauf? Wenn wir gut gelaunt oder gelassen sind, macht uns der umgeworfene Becher wahrscheinlich weniger aus, als wenn wir gereizt oder genervt sind. Und so kann sich eine Wut auf den Träger oder die Leitung eben schnell eine Wut auf ein Kind umwandeln. Das gilt es wahrzunehmen, zu erkennen und zu verhindern. 

Die Positive Pädagogik vereint Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, unter anderem aus der (Positiven) Psychologie, Medizin, Neurobiologie und Philosophie.[4] Während in der Psychologie lange Zeit der Fokus darauf lag, Erkrankungen zu behandeln, schlug die Positive Psychologie einen neuen Weg ein mit der Frage: Was trägt zu einem gelingenden und erfüllten Leben bei? Es wurden Faktoren untersucht, die stärken und die Gesundheit erhalten.[5] Hierbei wurde deutlich, wie wichtig es ist sich mit seinen Stärken einzubringen, das eigene Tun als sinnhaft zu erleben, sich als selbstwirksam zu erfahren und achtsam mit sich selbst zu sein.[6] Übertragen auf die Positive Pädagogik bedeutet das: Wir müssen Bedingungen schaffen, die Kindern und Fachkräften guttun und den Fokus auch auf das eigene Wohlbefinden legen. So können wir eine positive Lernumgebung für Kinder schaffen.

Neben der Wahrnehmung der eigenen Trigger und der Reaktion darauf spielt die grundsätzliche Haltung eine Rolle:

  • Nimmst du die Stärken des Kindes wahr oder liegt dein Fokus auf dem, was das Kind nicht kann?
  • Welche Erwartungen werden durch deine Aussagen deutlich? Sind sie wertschätzend und unterstützend oder eher abwertend und verurteilend?
  • Wie gehst du damit um, wenn Kinder dich um etwas bitten und du ein gegensätzliches Bedürfnis hast? 
  • Wählst du eine positive Sprache und schaffst eine Ja-Umgebung für Kinder oder hören sie häufig, was sie nicht dürfen oder nicht sollen?

Als Fachkraft handlungsfähig zu sein und sich mit den eigenen Stärken einbringen zu können, kann auch bedeuten, einen vollgepackten Kita-Tag zu entschlacken, Aufgaben aufzuteilen und eben nicht für alles verantwortlich zu sein. Das ist gar nicht leicht, wenn zwei Kinder eingewöhnt werden, die externe Lesepatin um 10 Uhr kommt, ein Entwicklungsgespräch das noch nicht vorbereitet ist in der Mittagszeit liegt und die Portfolio-Ordner der Kinder dringend aktualisiert werden müssen. 

Da ist es, das unbeliebte Wort müssen. Denn genau das ist oft der Fall: Die Aufgaben gleichen einem Müssen und weniger einem Wollen. Doch etwas tun zu müssen, setzt uns selbst unter Druck, auch wenn wir das Wort nur denken. Wie anders fühlt es sich an, wenn du sagen könntest: „Ich nehme mir heute Nachmittag Zeit für die Portfolios, weil ich mich richtig darauf freue, mit den Kindern die Ordner zu vervollständigen“? Wenn es eine Person im Team gibt, die Portfolios gerne macht, die gerne Entwicklungsgespräche führt oder gerne den Kontakt zur Lesepatin hält, dann liegt darin auch immer die Möglichkeit, die Aufgaben entsprechend aufzuteilen. Denn: Es müssen nicht alle für alles zuständig sein. Es geht nicht darum, sich vor Aufgaben zu drücken, im Vertretungsfall müssen sie unter Umständen übernommen werden, aber der Alltag darf aufs Müssen verzichten. Und wenn das bedeutet, ein Gespräch abzusagen, weil die Vorbereitungszeit nicht ausreicht, oder nur eine Portfolio-Mappe zu schaffen statt der vorgesehenen drei, dann ist das so. Auch hier geht es darum, wahrzunehmen, was dir selbst guttut – und was nicht. Und wer weiß, vielleicht übernimmt dein Kollege im Nachmittagsdienst die restlichen zwei Portfolio-Mappen, weil die Kinder ihm gerne von ihren vielen Abenteuern in der Kita erzählen.

Zum Weiterlesen:

Impulse aus der positiven Pädagogik: kindergarten heute 1_2023 (herder.de) 
Die Fortbildung zur Positiven Pädagogik findet am Freitag, 18. Oktober 2024, von 9:00 bis 16:30 Uhr bei BAGAGE statt.

Hannah Winkler ist Sozialpädagogin, studierte Bildung und Erziehung und war in Krippe, Kindergarten und Hort tätig. Sie arbeitet als Redakteurin für das Fachmagazin „kindergarten heute" in Freiburg und betreibt die Webseite wunderwitzig.de.

[1] Vgl. Burow, O.-A. (2021): Positive Pädagogik. Sieben Wege zu Lernfreude und Schulglück. 2. Auflage, Weinheim: Beltz, S. 252–254.
[2] Vgl. Ballmann, A. E. (2022): Seelenprügel. Was Kindern in Kitas wirklich passiert. Und was wir dagegen tun können. München: Penguin, S. 259-265.
[3] Vgl. kindergarten heute (2023): Impulse aus der Positiven Pädagogik. Ausgabe 1/2023. https://www.herder.de/kiga-heute/fachmagazin/archiv/2023-53-jg/1-2023/ (letzter Zugriff: 11.2.2024).
[4] Vgl. Gietzelt, A./Löffler-Gutmann, A. (2018): Zum Kontext der Positiven Pädagogik. https://www.ppgd.eu/page-2 (letzter Zugriff 11.2.2024).
[5] Vgl. Blickhan, D. (2015): Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Paderborn: Junfermann, S. 15.
[6] Ebd., u. a. S. 23.

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