Hier finden sich die Langfassungen der Fachartikel aus den BAGAGE News, die seit September 2022 etwa alle zwei Monate erscheinen. 
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BAGAGE News N° 7 vom 19.02.2024

Weil die Arbeit Spaß machen darf

Positive Pädagogik in der Kita

von Hannah Winkler

„Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll“, „Mir graut es davor, morgens in die Gruppe zu kommen, falls meine Kollegin wieder krank ist“ oder auch „Es bringt doch eh nichts“ – Diese drei Aussagen spiegeln eine Menge Frust, vielleicht auch schon Resignation von pädagogischen Fachkräften, wenn sie über ihren Kita-Alltag berichten. Auf die belastenden Faktoren brauchen wir hier nicht noch einmal einzugehen, denn Fakt ist: Sie sind da. Und sie sorgen dafür, dass man an alles denkt, aber am wenigsten daran, dass die Arbeit auch Spaß machen darf – und das vielleicht sogar einmal der Fall war. Früher. Doch was passiert mit und in uns, wenn diese Gedanken überhandnehmen: „Ich kann sowieso nichts bewirken“, „Der Träger ist verantwortlich“ oder „Die Leitung muss sich kümmern“? Wir machen unser Wohlbefinden abhängig von anderen. Es hängt von anderen ab, wie es uns geht, und damit auch, wann es uns gut geht oder ob es uns überhaupt gut geht. 

Diese Gedanken sind verständlich, denn in der Regel sitzen andere am längeren Hebel und treffen die Entscheidungen für oder gegen die Fachkräfte in den Einrichtungen. Doch was wäre, wenn wir einen Bereich hätten, über den wir frei verfügen könnten, den wir gestalten und über den wir entscheiden? Und diesen Bereich gibt es: in unserer täglichen Arbeit mit Kindern, in unserer Haltung, unserem Miteinander und den vielen kleinen, fast unscheinbaren Momenten, die den Kita-Tag ausmachen. Was wäre, wenn dir niemand diesen Bereich nehmen könnte? 

Die Positive Pädagogik wurde von Olaf-Axel Burow, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Kassel (bis 2017), Gestalttrainer, Kreativitäts- und Zukunftsforscher, für das Schulsystem entwickelt. Ihm ist wichtig, dass sich Lehrkräfte von dem defizitären Blick auf Kinder lösen und durch wertschätzende Beziehungen und Umgebungen dazu beitragen, dass den Kindern das Lernen Freude bereitet.[1] Anke Elisabeth Ballmann schrieb in dem letzten Kapitel ihres Buchs „Seelenprügel“ über Positive Pädagogik und die Bedeutung eines liebevollen Umgangs miteinander.[2] Die Januarausgabe 2023 von „kindergarten heute“ griff diese Impulse in verschiedenen Beiträgen auf und fasste bekannte und neue Gedanken zusammen, um Fachkräften die Positive Pädagogik auch als Ansatz für die Kita vorzustellen.[3] Die beiden Leitfragen sind: Was wäre, wenn Pädagogik Spaß machen würde? Woran würden wir das erkennen? 

Wenn wir noch einmal einen Blick auf die einleitenden Fragen werfen, wird klar, dass sich pädagogisch gute Rahmenbedingungen nicht einfach herzaubern lassen. Auch auf die Krankheit der Kollegin haben wir keinen Einfluss. Wir können aber festlegen, unter welchen Bedingungen wir arbeiten können, weil es machbar und leistbar ist und wo unsere Grenze erreicht ist. Diese Grenze klar zu kommunizieren und für uns einzustehen ist wichtig für das eigene Wohlbefinden. Fachkräfte, die über ihre persönliche Grenze hinaus gehen, gefährden auf Dauer ihre Gesundheit und das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Kinder. 

Stell dir vor, du kommst morgens freudig in die Gruppe: Wie begrüßt du die Kinder? Wie reagierst du auf sie, wenn sie a) aus Versehen einen Becher umwerfen, b) beim wilden Spiel in den Turm fallen, den ein anderes Kind mühevoll aufgebaut hat, c) immer noch nicht ihre Jacke allein anziehen können und d) Eltern haben, die wieder das Anmeldeformular vergessen haben? Und nun stell dir vor, du startest schlecht gelaunt oder missmutig in den Tag. Was macht das für einen Unterschied? Woran merkst du das? Wie verändert sich deine Redaktion auf die Situationen a, b, c und d?

Nun liegt zwischen der auslösenden Situation (Kind schmeißt den Becher um) und unserer Reaktion immer ein kurzer Moment, in dem wir die Situation einordnen und bewerten und daraus unsere Handlung ableiten. Hier liegt also die Freiheit zu entscheiden: Wie reagiere ich darauf? Wenn wir gut gelaunt oder gelassen sind, macht uns der umgeworfene Becher wahrscheinlich weniger aus, als wenn wir gereizt oder genervt sind. Und so kann sich eine Wut auf den Träger oder die Leitung eben schnell eine Wut auf ein Kind umwandeln. Das gilt es wahrzunehmen, zu erkennen und zu verhindern. 

Die Positive Pädagogik vereint Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, unter anderem aus der (Positiven) Psychologie, Medizin, Neurobiologie und Philosophie.[4] Während in der Psychologie lange Zeit der Fokus darauf lag, Erkrankungen zu behandeln, schlug die Positive Psychologie einen neuen Weg ein mit der Frage: Was trägt zu einem gelingenden und erfüllten Leben bei? Es wurden Faktoren untersucht, die stärken und die Gesundheit erhalten.[5] Hierbei wurde deutlich, wie wichtig es ist sich mit seinen Stärken einzubringen, das eigene Tun als sinnhaft zu erleben, sich als selbstwirksam zu erfahren und achtsam mit sich selbst zu sein.[6] Übertragen auf die Positive Pädagogik bedeutet das: Wir müssen Bedingungen schaffen, die Kindern und Fachkräften guttun und den Fokus auch auf das eigene Wohlbefinden legen. So können wir eine positive Lernumgebung für Kinder schaffen.

Neben der Wahrnehmung der eigenen Trigger und der Reaktion darauf spielt die grundsätzliche Haltung eine Rolle:

  • Nimmst du die Stärken des Kindes wahr oder liegt dein Fokus auf dem, was das Kind nicht kann?
  • Welche Erwartungen werden durch deine Aussagen deutlich? Sind sie wertschätzend und unterstützend oder eher abwertend und verurteilend?
  • Wie gehst du damit um, wenn Kinder dich um etwas bitten und du ein gegensätzliches Bedürfnis hast? 
  • Wählst du eine positive Sprache und schaffst eine Ja-Umgebung für Kinder oder hören sie häufig, was sie nicht dürfen oder nicht sollen?

Als Fachkraft handlungsfähig zu sein und sich mit den eigenen Stärken einbringen zu können, kann auch bedeuten, einen vollgepackten Kita-Tag zu entschlacken, Aufgaben aufzuteilen und eben nicht für alles verantwortlich zu sein. Das ist gar nicht leicht, wenn zwei Kinder eingewöhnt werden, die externe Lesepatin um 10 Uhr kommt, ein Entwicklungsgespräch das noch nicht vorbereitet ist in der Mittagszeit liegt und die Portfolio-Ordner der Kinder dringend aktualisiert werden müssen. 

Da ist es, das unbeliebte Wort müssen. Denn genau das ist oft der Fall: Die Aufgaben gleichen einem Müssen und weniger einem Wollen. Doch etwas tun zu müssen, setzt uns selbst unter Druck, auch wenn wir das Wort nur denken. Wie anders fühlt es sich an, wenn du sagen könntest: „Ich nehme mir heute Nachmittag Zeit für die Portfolios, weil ich mich richtig darauf freue, mit den Kindern die Ordner zu vervollständigen“? Wenn es eine Person im Team gibt, die Portfolios gerne macht, die gerne Entwicklungsgespräche führt oder gerne den Kontakt zur Lesepatin hält, dann liegt darin auch immer die Möglichkeit, die Aufgaben entsprechend aufzuteilen. Denn: Es müssen nicht alle für alles zuständig sein. Es geht nicht darum, sich vor Aufgaben zu drücken, im Vertretungsfall müssen sie unter Umständen übernommen werden, aber der Alltag darf aufs Müssen verzichten. Und wenn das bedeutet, ein Gespräch abzusagen, weil die Vorbereitungszeit nicht ausreicht, oder nur eine Portfolio-Mappe zu schaffen statt der vorgesehenen drei, dann ist das so. Auch hier geht es darum, wahrzunehmen, was dir selbst guttut – und was nicht. Und wer weiß, vielleicht übernimmt dein Kollege im Nachmittagsdienst die restlichen zwei Portfolio-Mappen, weil die Kinder ihm gerne von ihren vielen Abenteuern in der Kita erzählen.

Zum Weiterlesen:

Impulse aus der positiven Pädagogik: kindergarten heute 1_2023 (herder.de) 
Die Fortbildung zur Positiven Pädagogik findet am Freitag, 18. Oktober 2024, von 9:00 bis 16:30 Uhr bei BAGAGE statt.

Hannah Winkler ist Sozialpädagogin, studierte Bildung und Erziehung und war in Krippe, Kindergarten und Hort tätig. Sie arbeitet als Redakteurin für das Fachmagazin „kindergarten heute" in Freiburg und betreibt die Webseite wunderwitzig.de.

[1] Vgl. Burow, O.-A. (2021): Positive Pädagogik. Sieben Wege zu Lernfreude und Schulglück. 2. Auflage, Weinheim: Beltz, S. 252–254.
[2] Vgl. Ballmann, A. E. (2022): Seelenprügel. Was Kindern in Kitas wirklich passiert. Und was wir dagegen tun können. München: Penguin, S. 259-265.
[3] Vgl. kindergarten heute (2023): Impulse aus der Positiven Pädagogik. Ausgabe 1/2023. https://www.herder.de/kiga-heute/fachmagazin/archiv/2023-53-jg/1-2023/ (letzter Zugriff: 11.2.2024).
[4] Vgl. Gietzelt, A./Löffler-Gutmann, A. (2018): Zum Kontext der Positiven Pädagogik. https://www.ppgd.eu/page-2 (letzter Zugriff 11.2.2024).
[5] Vgl. Blickhan, D. (2015): Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Paderborn: Junfermann, S. 15.
[6] Ebd., u. a. S. 23.

 

 

 

BAGAGE News N° 6 vom 13.09.2023

Schwieriger Neuanfang

Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita ohne Therapeut:in

von Friedemann Köngeter

„Auch in unserer Kita haben wir Flüchtlingskinder, die traumatisiert sind. Leider wird man doch sehr allein gelassen und findet nur schwer Hilfe“ schreibt uns eine Erzieherin und bringt damit eine Ratlosigkeit zum Ausdruck, die wohl in vielen Kitas herrscht, seit die Zahl der Geflüchteten wieder ansteigt. Grund genug, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und danach zu fragen, wie Pädagog:innen mit ihrem normalen fachlichen Rüstzeug mit dieser Situation umgehen können.

Seit der Migrationswelle von 2015 sind einige Artikel zum Thema erschienen, die mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wieder an Aktualität gewonnen haben. Einig sind sich alle Autor:innen, dass es sich bei Geflüchteten um einen äußerst heterogenen Personenkreis handelt, nicht nur was die Eltern, sondern auch was die Kinder betrifft. Geflüchtete kommen aus völlig verschiedenen sozialen Schichten, kulturell-religiösen Hintergründen und haben auch von ihrer Bildungsgeschichte her sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Zwei Themen stehen aber sowohl in den Texten wie auch bei den persönlichen Gesprächen immer wieder im Vordergrund: Das Sprachproblem und die psychische Belastungssituation. 

Keine gemeinsame Sprache zu haben ist ein Haupthindernis für jede Form der interkulturellen Verständigung. Dieser Schwierigkeit ist vonseiten einer Kita nur mit einer einzigen bekanntermaßen knappen Ressource zu begegnen und die heißt Zeit. Das gilt nicht nur für den Umgang mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern. Dier Psychotherapeutin Ulrike Kreis weist darauf hin, dass migrantische Eltern oft keine Vorstellung davon haben, was ein Kindergarten ist, wie er funktioniert und wofür er gut ist. Dazu kommt zuweilen noch eine allgemeine Skepsis gegenüber Institutionen aus schlechter Erfahrung heraus. Es kann dauern, deren Vertrauen zu gewinnen.

Die Supervisorin Heike Baum rät zur gebärdenunterstützten Kommunikation. Die Grundlagen dafür seien an einem einzigen Seminartag erlernbar und sie wird zum Beispiel auch in der Kommunikation mit Kindern mit Einschränkungen praktiziert. Kinder erlernen Sprachen zwar leichter als Erwachsene, aber auch für sie ist es wichtig, manchmal in ihrer Erstsprache kommunizieren zu können. Gut ist, wenn Pädagog:innen da sind, die übersetzen können, oft ist das aber nicht der Fall. Frau Baum plädiert dafür, dass fremdsprachige Pädagog:innen für einige Wochenstunden frei gestellt werden, um bei Bedarf in anderen Einrichtungen Übersetzungsarbeit zu leisten. Eine ausgezeichnete Idee!

„Posttraumatische Belastungsstörung“ ist ein Begriff, der uns in unserer halbwegs heilen Welt zurecht Furcht einflößt. Wie sollen wir bloß mit traumatisierten Menschen umgehen, wenn wir doch gar keine Therapeut:innen sind? Es gibt zwar Quellen die nahelegen, dass traumabedingte belastende Verhaltensweisen bei geflüchteten Kindern die Ausnahme und „keinesfalls die Regel“ seien (Christiane Hofbauer, Herder). Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass viele geflüchtete Kinder unsägliche Grausamkeiten erlebt haben, sei es im Herkunftsland oder auf der Flucht. Auch Heike Baum sagt, wir können uns kaum vorstellen, was es für ein Kind bedeutet, „von Schleppern auf irgendein Boot geschmissen zu werden, von den Eltern getrennt, alles muss sehr schnell gehen, Eltern wie Kinder sind komplett ausgeliefert.“ Es ist gerade diese völlige Machtlosigkeit der Eltern, die traumatisiert. Eltern sind idealerweise Stabilitätsanker in der Welt des Kindes. Der totale Kontrollverlust auch der Eltern bedeutet einen Zusammenbruch des Weltbildes, wie auch immer es vorher aussah. Ein dauerhafter Stresszustand beschädigt das „neuronale Material“ (Dima Zito, www nifbe.de). Ist der Umgang mit solchen Kindern also eine unlösbare Aufgabe für normale Pädagog:innen?  

Nicht jedes schlimme Ereignis führt zu einer Traumafolgestörung. Wichtig ist, welche „Schutzfaktoren“ dem Kind zur Verfügung stehen. Dazu gehört in erster Linie die soziale Unterstützung im neuen Alltag. Hierfür ist keine spezielle Ausbildung notwendig, sondern die ganz normale Zugewandtheit, die auch andere Kinder brauchen. Nun kommt wieder die Ressource Zeit ins Spiel. Von der brauchen Pädagog:innen im Umgang mit geflüchteten Kindern und deren Eltern tatsächlich viel mehr als mit denen, die sich sowieso schon sicher in einer sicheren Umgebung bewegen. 

Alle Autor:innen betonen, dass die „Kita als sicherer Ort“ entscheidend für die weitere Entwicklung ist. Das bedeutet, dass Kinder sich sowohl in sozialer als auch in räumlicher Hinsicht geborgen fühlen können. Helle gemütliche Räume, Rückzugsmöglichkeiten, Kuscheltiere als „Seelentröster“ und Kuschelecken gehören dazu. Die Supervisorin Heike Baum rät dazu Reizüberflutung zu verhindern, der Raum solle nicht vollgepackt mit verschiedensten Spielsachen sein. Lieber wenige unterschiedliche Dinge (Bauklötze, Legos…) und dafür in der Menge reichlich. 

Anna Maria Hoffmann betont auf der Seite „Kita-Fuchs“ die Wichtigkeit von Ritualen. Sich wiederholende Vorgänge etablieren Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, im besten Falle auch Selbstwirksamkeit. Das sind genau die Dinge, deren Verlust für Kinder traumatisierend wirkt. Eine Art von Ordnung herzustellen, ist von unschätzbarer Wichtigkeit. Zum Thema Selbstwirksamkeit betont auch Heike Baum, dass es wichtig sei, den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich „ihrer selbst wieder zu bemächtigen“. Also Selbstwirksam ihren Tag selbst gestalten, Orientierungspunkte im Alltag sind wichtig für Kinder, sie können aber immer nur ein Angebot an das Kind sein. 

Auch wenn all dies beachtet wird, kann es zu Flashbacks traumatischer Erlebnisse kommen. Nun kommt es darauf an, selbst ruhig, zugewandt und gelassen zu bleiben. Zurück ins hier und jetzt ist die richtige Richtung. Kleine Achtsamkeitsübungen können dabei helfen.  

Es ist leider zu erwarten, dass die Zahl der flüchtenden und geflüchteten Menschen weltweit eher zunehmen wird. Die wenigsten von ihnen kommen in Europa an. Alle tragen schweres Leid mit sich und die meisten davon würden von einer traumatherapeutischen Behandlung profitieren. Natürlich kann das keine aufnehmende Gesellschaft leisten. Eine Gesellschaft ohne Personalnotstand in den Kindergärten könnte aber immerhin genug Zeit aufwenden, um geflüchteten Kindern mit aller Geduld und Zugewandtheit zu ermöglichen, neues Vertrauen in die Welt zu finden. 

BAGAGE-Fortbildung zum Thema:

14.10.2024     Ulrike Kreis: Kinder mit Fluchterfahrung

 

 

 

 

BAGAGE News N° 5 vom 15.06.2023

Die Holzwerkstatt mit knappen Mitteln

von Friedemann Köngeter

Werkeln macht nicht nur Kinder froh. In der Holzwerkstatt erleben wir beispielhaft, wie wichtig es sein kann, Kindern gleich richtiges Werkzeug in die Hand zu geben anstatt "Spielzeug", das aussieht wie Werkzeug. Auch wenn das Werkzeug in der Holzwerkstatt nicht wirklich Spielzeug ist, wäre es schön, wenn ein spielerischer Umgang damit gelingen könnte. 

Bevor wir Kindergartenkinder in die Holzwerkstatt lassen, sollten wir als Erwachsene selbst ziemlich genau wissen, was mit welchen Werkzeug leicht oder schwer geht. Es macht durchaus Sinn, auch die einfachen Mittel der Holzbearbeitung erst selbst auszuprobieren und dabei der Phantasie freien Lauf zu lassen. katzi

Freier Geist, festes Werkstück

Der Geist ist frei, aber das Werkstück, das wir bearbeiten wollen, muss ganz fest sitzen und darf nicht wackeln. Das ist insbesondere dann eine Herausforderung, wenn wir nicht über eine Werkbank mit einem guten Holzschraubstock verfügen. Eine Alternative kann ein mobiler Schraubstock sein. Der wird dann an einen normalen, aber nicht allzu empfindlichen Tisch geschraubt. Beim Kauf sollten wir darauf achten, dass die Befestigung am Tisch sehr solide ist. Gerade wenn wir lange Werkstücke bearbeiten, wirken da beachtliche Kräfte.  

Die andere Alternative sind Schraubzwingen. Allerdings sind die für kleine Kinder schwer zu handhaben, da brauchen sie erwachsene Hilfe. Bei Schraubzwingen muss der Schuh (dasunbewegliche Oberteil) satt und gerade aufsitzen. Wenn wir dann mit dem Teller zudrehen, darf das Werkstück sich nirgends anders hinbewegen als nach unten. Fatal sind alte, verrostete Schraubzwingen, weil sich da der Teller mitdreht und wir unmöglich Kraft in die richtige Richtung ausüben können. Ein paar Tropfen Öl am Gewinde lösen das Problem normalerweise.  viecher

 

 Bleibende Verbindungen

Zunächst geht es um Holzverbindungen. Wir wollen uns aufs Kleben und Nageln konzentrieren, vielleicht brauchen wir auch einmal eine Schraube.

Wollen wir zwei Werkstücke mit einer Holzschraube verbinden, müssen wir zunächst ein Loch in eines der Holzstücke bohren, das etwas breiter ist als die Schraube dick. Das Schraubgewinde bohrt sich also nur in das untere Holzstück, das obere Werkstück wird nur gehalten. 

In der Holzwerkstatt kleben wir normalerweise mit Holzleim. Der ist etwa nach einer Stunde trocken, zumindest wenn „express“ auf der Tube steht. Es gibt auch „wasserfesten“ Holzleim, der empfiehlt sich für Sachen, die nachher draußen stehen. Beim Leimen ist entscheidend, dass beide Flächen glatt und gerade sind und dass wir sie gut aufeinander pressen können. Das tun wir normalerweise mit Schraubzwingen und bei Bedarf mit Zulagen, damit wir keine Druckstellen ins Werkstück pressen. 

Das Nageln ist vielleicht die handwerklich einfachste Art der Verbindung, dennoch braucht es etwas Übung. Zum Üben macht es Sinn, einfach ein paar Nägel in einen Balken zu hauen. Der Stiel des Hammers wird dabei weit unten gehalten nicht oben beim Hammerkopf. Dadurch haben wir viel mehr Kraft. Nagel krumm gehauen? Macht nichts, einfach mit dem nächsten probieren! Zum Verbinden zweier Werkstücke, zum Beispiel Dachlatten-Abschnitte brauchen wir mindestens zwei Nägel, wenn wir nur einen nehmen, wirkt das wie ein Gelenk. Die zwei Nägel geben noch besseren Halt, wenn sie nicht ganz gerade sondern leicht schräg in verschiedene Richtungen eingeschlagen werden. 

Die einfache Holzwerkstatt

Nicht alle Kindertageseinrichtungen, die gerne eine Holzwerkstatt anbieten wollen, haben viel Platz und auch nicht alle haben viel Geld, um sich teures Werkzeug leisten zu können. Abgenutztes Werkzeug ist allerdings das falsche Ende zum Sparen. Als Grundausstattung sollten so viele Hämmer und Sägen da sein, wie Kinder gleichzeitig betreut werden können. Bei den Sägen empfiehlt sich die Japansäge, weil sie sehr scharf ist und damit schnell zum Erfolg führt. Natürlich muss die Vorsicht vor der scharfen Klinge erlernt werden. Stumpfes Werkzeug ist allerdings sehr viel unfallgefährlicher als scharfes, unter anderem weil es zu unsachgemäßem Gebrauch (z.B. zu viel Druck) verleitet.

Meterstab, Bleistift, Zange, Raspel, Feile und Schleifpapier sollten im Werkzeugkasten sein und am Bohrer scheiden sich die Geister: Bisher ist uns noch kein Handbohrer begegnet, der wirklich kindgerecht wäre. Am leichtesten ist vielleicht ein Drillbohrer zu handhaben. Leichter, aber sehr umstritten sind kleine Akkubohrer wie sie schon sehr günstig im Baumarkt zu haben sind. Wenn die im Einsatz sind, gehören lange Haare unter eine Mütze oder ein Stirnband. herzbild

Ihr seid am Zug

Bevor wir ernsthafte Holzprojekte starten, soll der Werkzeuggebrauch ohne jede Zielorientierung geprobt werden. Dachlatten und Nägel sind relativ billig, hier ist Großzügigkeit angebracht. Wenn dann einige Stücke von einer Dachlatte heruntergesägt sind, können wir sie aufeinander nageln, mit Raspel, Feile und Schleifpapier abrunden, feinschleifen und schließlich bunt anmalen. So können Wagons eines Zuges entstehen, den wir jetzt noch verbinden wollen. 

Die teuerste Variante sind Haken und Ösen aus dem Bastelgeschäft. Wir können stattdessen auch einfach Nägel zur Hälfte in die Stirnseite des Holzstückes klopfen und sie dann krumm biegen. So entsteht ein preiswerter Haken. Wir können auch aus einem alten Fahrradschlauch einen Riemen schneiden und den mit Dachpappennägeln an die Unterseiten befestigen. 

Wer sich mit so einfachen Zügen nicht zufriedengeben will, baut richtige Achsen und Räder unten dran. Die Räder werden von einem runden Ast, mindestens 2,5 cm dick, heruntergesägt, das müssen sehr wahrscheinlich Erwachsene tun. In die Mitte der Astscheibe wird ein Loch gebohrt genau mit dem Durchmesser eines Rundstabes (3-5 mm), von dem Abschnitte in der Breite des Zuges heruntergesägt werden. Nun die Räder auf den Abschnitt vom Rundstab stecken und fertig ist die Achse. Die wird mit Krampen oder krumm gebogenen Nägeln an der Unterseite der Wagons befestigt und los geht der Zug. 

Natürlich kann auch mit vielem anderen Material, zum Beispiel mit Fundstücken aus dem Wald, gewerkelt werden. Das Wichtigste ist bei allem Werkzeuggebrauch, dass das Werkstück nicht wackelt, sondern fest sitzt. 

Wer dies und noch ein paar andere Ideen in der Praxis erleben will, melde sich am besten zur Fortbildung „Holzwerkstatt“ von BAGAGE an. Die Fotos sind von Dingen, die bei der letzten „Holzwerkstatt“ entstanden sind.

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BAGAGE News N° 4 vom 06.04.2023

Eine eiskalte Osterüberraschung 

Von Birgit Lüdtke-Brucker

Fehlt euch noch eine kleine Osterüberraschung für eure Lieben? Wir hätte da eine „eiskalte DIY-Idee“ für euch.

Ihr braucht dafür nur einen Luftballon, einen kleinen wasserfesten Gegenstand, den ihr verschenken wollt (für Kinder eignen sich hier besonders kleine Schleichtiere), Wasser direkt aus dem Wasserhahn und ein Plätzchen im Gefrierfach.

Und so geht´s:

Spreizt die Öffnung des Ballons und schiebt euren Gegenstand hinein – zu zweit geht es leichter, aber man schafft es auch alleine. Dann den Ballon über den Wasserhahn klemmen und soviel Wasser langsam einfüllen, bis ein handtellergroßes Ei entstanden ist. Dann den Ballon verknoten und mindestens 4 Stunden gefrieren lassen.

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Das gefrorene Ballon-Ei verschenken (oder suchen lassen 😉), beim Abschneiden des Knotens helfen und sich über die staunenden Gesichter nach dem Auspacken der wunderschönen Eis-Eier freuen. 
Fürs „Auftauen“ gibt es mehrere Möglichkeiten:
Für Geduldige: ein warmes Plätzchen in der Sonne, für Vorsichtige: ein Bad in warmem Wasser oder für Aktive: ein kleiner Hammer, mit dem das Eis nach und nach abgeschlagen werden kann.

Viel Spaß beim Ausprobieren!  

Mit herzlichen Ostergrüßen

Eure BAGAGE

 

 

 

BAGAGE News N° 3 vom 01.02.2023 

Hilfe, wir haben Hortkinder

Ein Interview zum Rechtsanspruch

Satire von Michael Fink

Noch mehr Plehmobil! Ein Eifohn! Erpotz für mein Eifohn! Heutige Kinder haben immer höhere Ansprüche. Jetzt kommt noch einer dazu: Ab dem Schuljahr 2026/27 hat jedes Kind, das eingeschult wird, einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz während der Grundschulzeit. Muss irgendwer irgendwas tun, um diesem Anspruch gerecht zu werden, vielleicht sogar der knauserige Ortsbürgermeister von Tupfeldingen? Alle wichtigen Fragen klärt dieses Interview – zum Glück mit einem total erfundenen Experten für diese ergänzende Nachmittags-Schulkindbetreuung oder wie immer das jetzt heißt. Gut, dass es nur Satire ist, die alles darf…

 

In unserer Schule wurde ein Befall von sogenannten „Nachmittagskindern“, auch „Horties“ oder im Amtslatein „Grundschulkind mit Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung“ festgestellt. Muss mich das beunruhigen?

Grundsätzlich ist erst mal Ruhe angesagt. Viele andere Länder kennen das Problem schon länger, dass altgediente Schulgebäude plötzlich von nachmittäglichen Schulkindern befallen werden, teilweise sogar in Ferien. Nachdem man jahrelang versucht hat, den Befall in Grenzen zu halten, versucht man heute vielerorts erfolgreich, sich mit den neuen „Bewohnern“ gut zu arrangieren.

Wovon ernähren sich diese Hortkinder? Muss ich jetzt besondere Futterangebote machen?

Richten Sie auf alle Fälle einen Futterplatz ein. Gut geeignet ist zum Beispiel ein unbenötigter Seitenkeller ihres Schulhauses, wo sie mit ausgedienten Stühlchen und Tischen schnell eine sogenannte „Mensa“ zusammengestoppelt kriegen. Als Nahrungsangebot bieten sich einfache, möglichst stark verkochte Speisen an – wir empfehlen montags bis donnerstags Brühnudeln mit Götterspeise, Freitags hingegen ist Fischfilet zu reichen, um den Kindern anderer Herkunft die Grundbausteine unser Kultur zu vermitteln. Unser Tipp: Vermeiden Sie gewürzte oder gar appetitliche Speisen, um die kleinen Plagegeister über die sogenannte Essensabmeldung schnell wieder loswerden zu können. Eine sogenannte „Essensaufsicht“ mit markigen Sprüchen („Alles aufessen, auch das Gemüse!“) und eine robuste Küchenfrau mit großer Schöpfkelle unterstützen diese Anliegen.

Brauchen diese Horties irgendwelche besonderen Beschäftigungsangebote?

Wenn Horties über Stunden in engen Räumen und auf kahlen Schulhöfen gehalten werden, können diese an sich possierlichen Lebewesen sehr anstrengend werden. Erfahrene Ganztageskinderbetreuung kennen diesen ganz einfachen Trick: Mit den Lehrern überlange Hausaufgaben verabreden. Horties in einen sogenannten „ablenkungsarmen Hausaufgabenraum“ sperren und ein Verlassen nur bei vollständiger und selbstständiger Erledigung der Hausaufgaben in Aussicht stellen. Auf Fragen: „Wie rechnet man denn plus?“ nur die Schultern zucken und murmeln: „Ich bin vom Hort, ich muss das nicht können…“

In Kindertagesstätten gibt es doch diese sogenannten pädagogischen Standards. Brauchen diese Hortkinder auch sowas? 

Absolut. Ohne Standard keine Pädagogik. Bieten Sie also bitte absolutes Standardprogramm – und keinen Luxus.

Braucht man besonderes Fachpersonal zur Betreuung dieser Hortkinder?

Grundsätzlich dürfen nur ausgebildete Fachkräfte Hortkinder betreuen, wobei auf maximal 20 Horties zwei Vollzeitfachkräfte kommen sollten. „Sollten“ heißt: In Zeiten mit Personalmangel wie derzeit dürfen diese zwei Vollzeitfachkräfte ausnahmsweise durch eine Halbzeitfachkraft sowie eine Vollzeitnichtfachkraft ersetzt werden. Fehlen nachweisbar geeignete Halbzeit-Fach- und Vollzeitnichtfachkräfte, können ersatzweise drei Nichtvollzeitnichtfachkräfte zusammen mit einer Halbzeitüberhauptnichtfachkraft die Kinder betreuen. Falls es diese auch nicht gibt, wie es sich aufgrund des bis 2060 prognostizierten Erzieher*innenmangels abzeichnet, können die Kinder ausnahms- und ersatzweise auch durch folgendes Personal betreut werden: Die kinderliebe Gattin vom Ex-Hausmeister. Eine gut programmierte Smartwatch mit Überwachungsfunktion. Eine zufällig vorbeikommende Mutter, die eh noch warten muss, bis Laura genug Englisch fertig hat. Oder sie nutzen das Modell der peer to peer-Betreuung: Der durchsetzungsstarke Viertklässler Marvin übernimmt mit seiner Kindergang „Die wüsten Kerle“ die Aufsichtsführung. 

Viele Horties verbringen in der Nachmittagsbetreuung voraussichtlich mehr Wachzeit als in der familiären Wohnung. Muss sich dieser Grundsatz in der Gestaltung der Horträume niederschlagen?

Absolut! Viele Kinder wachsen heute in prekären, beengten Wohnverhältnissen auf. Andere erleben von Kindesbeinen an gleichförmige gestaltete Vorstadthäuser mit geschmackloser Einrichtung, gelegen in einem wenig kindgerecht gestalteten, naturfernen Umfeld. Hortkinder haben das Recht, dieses vertraute Bild auch in entsprechend lieblos gestalteten Schulräumen mit großzügig asphaltierten Schulhöfen vorfinden. Insofern besteht glücklicherweise wenig Investitionsbedarf beim Umbau unserer Schulgebäude.

Nochmal zum Anfang: Wieso nennt man dieses „Betreuungsangebot für Kinder mit Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung“ eigentlich Hort? Hat das was mit dem Hort der Nibelungen zu tun, diesem sagenumwobenen, von Hagen von Tronje im Rhein versenkten Goldschatz?

Hm, Goldschatz? Ich weiß nicht. Eher kommt der Begriff vom Verb „horten“. Also wenn man Dinge, mit denen man nichts rechtes anzufangen weiß, massenhaft in einer alten Garage sammelt. Manche sagen ja auch „bunkern“ dazu….

 

 

BAGAGE News N° 2 vom 30.11.2022 

Ästhetische Bildung und Kreativität von Anfang an

von Birgit Lüdtke-Brucker

Was ist eigentlich „ästhetische Bildung“ und warum ist die Möglichkeit zu selbständigem kreativem Arbeiten schon für die Kleinsten so wichtig?

Ästhetik heißt wörtlich übersetzt „Lehre des sinnlichen Wahrnehmens“ und unter Bildung verstehen wir die Aneignungsfähigkeit, mit der sich der Mensch ein Bild von der Welt macht.
Demnach bedeutet ästhetische Bildung das Erfassen der Welt mit allen Sinnen. Um die Kinder bei dem für sie so wichtigen „Kennenlernen ihrer Lebenswelt“ zu unterstützen, ist es unsere Aufgabe, ihnen eine große Vielfalt an sinnlichen Eindrücken zu ermöglichen. Wir müssen Gelegenheiten schaffen, in denen sich die Kinder mit den Gegebenheiten ihrer (Um-) Welt aktiv auseinandersetzen können und bereit sein, die daraus folgenden Erkenntnisprozesse aufmerksam und unterstützend zu begleiten. 
Um ein Verständnis ihrer Lebenswelt zu entwickeln, brauchen Kinder vor allem den konkreten Umgang mit Dingen. Ihr Erkennen ist eigentlich immer mit Tun verbunden und besonders gestalterisch-schöpferische Tätigkeiten geben dem Denken der Kinder sichtbaren Ausdruck – die Kinder lernen „handelnd zu begreifen“. Kinder brauchen Raum und Zeit, um die Vielfalt an Sinnesinformationen, denen sie täglich ausgesetzt sind, zu verarbeiten, zu vertiefen, Zusammenhänge herzustellen und komplexe Vorgänge verstehen zu können. Und sie brauchen eine (Lern-) Atmosphäre, die von Vertrauen, Respekt, Toleranz und Wertschätzung geprägt ist - und letztendlich brauchen sie Menschen, die sie in ihrem kreativen Tun begleiten, beraten und ernst nehmen.
Leider steht eben diesen Menschen – also uns Erzieher*innen, Lehrer*innen und Eltern - häufig die eigene Vorstellung der zu erreichenden Ergebnisse im Weg.  So lenken wir, bewusst oder unbewusst, häufig das kreative Handeln der Kinder in eine bestimmte Richtung, die den spontanen „Forscherdrang“ hemmt und eigene Gestaltungsideen verhindert. Also: Raus aus der Ergebnisfalle und sensibel werden für die Wahrnehmung wertvoller Entwicklungsprozesse!
Eine wichtige Voraussetzung für das Anregen dieser kreativen Prozesse ist es, selbst neugierig zu bleiben: Gemeinsam mit den Kindern Fundstücke oder Alltagmaterialien (neu) zu entdecken, zu be- oder verarbeiten, zu erforschen und die gefundenen Erkenntnisse untereinander auszutauschen. 

Dabei ist es sinnvoll, sich schon vorher notwendiges Material- und Funktionswissen anzueignen, um den Kindern bei Bedarf konkrete Hilfestellung und Unterstützung anbieten zu können.
Auch brauchen manche Kinder im selbständigen Tun immer mal wieder Anregungen oder neue Impulse, die Lust machen, weiter zu forschen, zu malen zu bauen und mutig Neues zu entdecken oder zu erschaffen. Die Kunst der idealen (Lern-) Begleitung besteht darin, das richtige Maß zu finden, um freies, interessengeleitetes Tun zuzulassen, aber auch anregende Impulse einzubringen und unterstützende Hilfestellung zu geben, wenn sie nötig ist.

„Ästhetische Bildung ist kein neuer Trend, kein Programm für die Kinder wie Sprachförderung oder Mathematische Früherziehung (…). Sie ist vielmehr unverzichtbar, da sie den Kindern Problemlösungsstrategien für ihr ganzes weiteres Leben in Alltag, Schule und Beruf an die Hand gibt, die sie auch dann anwenden können, wenn keine nachahmbaren Lösungen vorhanden sind und eigene Antworten auf die Herausforderungen des Lebens gefunden werden müssen.“  (D. Braun: Kreativität in Theorie und Praxis, 2011)

 

Birgit Lüdtke-Brucker ist Diplom-Pädagogin, Atelier- und Werkstattpädagogin, freischaffende Künstlerin und künstlerische Leiterin der Pädagogischen Ideenwerkstatt BAGAGE

 

 

 

BAGAGE News N° 1 vom 28.09.2022 

Das Absperrband ist weg

Die schwierige Rückkehr zur offenen Arbeit nach der Pandemie

von Sabrina Stoll

Zwei Jahre Corona-Pandemie haben den Alltag vieler Kitas komplett auf den Kopf gestellt. Qualitativ hochwertige Pädagogik konnte oft nur eingeschränkt stattfinden. Offene Konzepte wurden von jetzt auf gleich aufgelöst und es ging in ein geschlossenes Gruppensystem zurück. Veränderungsprozesse in der Teamarbeit wurden zu einer großen Herausforderung. Wie finden wir nun wieder in unserem Alltag ins offene Arbeiten zurück? Was braucht es dazu?

Fast alle Kindergartenteams, die zuvor mit einem offenen Konzept gearbeitet haben, beschäftigen sich in den letzten Monaten mit diesem Thema. Das System „offene Arbeit in der KITA“ wurde aufgelöst. Einrichtungen, die vor der Pandemie offen gearbeitet haben, stehen vor der besonderen Herausforderung wieder aus dem geschlossen, gruppenorientierten Arbeiten zurück in ein offenes bildungsbereichsübergreifendes Arbeiten zurückzukommen. Die pandemiebedingte geschlossene Arbeit bedeutete auch eine schleichende Rückkehr zur Angebotspädagogik. Nun stellt sich die Herausforderung, wieder zu einer bedürfnisorientierten Beantwortungspädagogik zu kommen. Auf diesem Weg ist es wichtig, nichts zu überstürzen, sondern die Schritte zurück ins offene Arbeiten behutsam anzugehen. Schließlich ist es unsere zentrale Aufgabe, die Interessen der Kinder im Blick zu haben, dann erst beschäftigen wir uns mit der Dynamik im Team.

 

stressreduzierte Bildung und Betreuung

Deshalb ist die wichtigste Frage, wie es gelingen kann, die Kinder in diesen Prozess der Öffnung einzubeziehen. Wie können wir sicherstellen, dass sich die Kinder mit ihren Fragen und Wünschen ernst genommen fühlen und zu aktiven Mitgestaltern dieser Entwicklung hin zur Öffnung werden? 

Voraussetzung für das Gelingen ist die Haltung im Team zur Partizipation. Alle Teammitglieder müssen es mittragen können, dass die Kinder mitentscheiden, wie Räume neu gestaltet werden und wie der Tagesablauf aussehen soll. Welche gemeinsamen Rituale oder Aktionen sollen wieder eingeführt werden und welche Regeln sollen gelten? Soll der Morgenkreis abgeschafft und Kinderkonferenzen einberufen werden?

Wir sollten den Kindern mit tiefem Respekt begegnen und wieder verstärkt darauf achten, dass Kinder von sich aus neugierig, interessiert und forschend auf die Welt zugehen. Sie brauchen ein Gegenüber, das ihnen hilft, sich ihr Verständnis der Welt zu konstruieren. All das ist in den letzten beiden Jahren viel zu kurz gekommen und es ist zu viel über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden worden, ohne auf deren Bedürfnisse und Bindungen zu achten. Das begann schon mit der Entscheidung, dass Gruppen getrennt wurden. Damit wurden auch wichtige Bezugspersonen weggenommen und Freundschaften getrennt. Der „sichere Hafen“ wurde einfach von heute auf morgen aufgelöst. 

Der Stresslevel der Kinder war in dieser frühen Pandemiezeit so hoch wie noch nie. Stress führt zu einer vermehrten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass ein dauerhaft hohes Cortisol-Niveau im Laufe des Tages zu Beeinträchtigungen der kindlichen Gehirnentwicklung führen kann. 

Damit wird deutlich, wie wichtig es ist, dass wir Fachkräfte den Rahmen dafür gestalten, dass sich die Kinder wieder sicher und geborgen fühlen, wenn sie in der Kita ankommen, dass sie wieder ihren Raum haben um die Welt zu erforschen und sich zu bilden. 

 

Teamqualität

Dazu braucht es ein fachlich kompetentes und gut funktionierendes Team, das sich seiner Verantwortung bewusst ist, Pädagogik auf höchstmöglichem Niveau zu leisten. Eine gute Pädagogik steht und fällt mit einer authentischen Teamkultur und einem guten Zusammenhalt innerhalb des Teams. Die Praxis zeigt, dass sich viele Teams wieder neu zusammenfinden müssen nach dieser Zeit der Restriktionen. Das geht nicht immer schnell und fordert Geduld und Aufarbeitung: Wie erging es uns in dieser Zeit? Was fällt uns aktuell schwer in diesem Prozess der Öffnung? Wo muss ich vielleicht auch als Fachkraft wieder aus meiner Comfort-Zone heraus? 

Für manche Fachkräfte war es tatsächlich eine Erleichterung, nur für eine Gruppe zuständig zu sein und sich nicht ständig mit allen Kolleg:innen absprechen zu müssen. Manche sagen, sie fanden es schön, in der geschlossenen Gruppe zu arbeiten, das habe doch gut funktioniert. So muss vielleicht neue Überzeugungsarbeit geleistet werden um die Vorteile des offenen Konzeptes sichtbar zu machen. Wir Fachkräfte müssen uns in Selbstreflexion üben: 

Wie ist meine Haltung dem einzelnen Kind gegenüber? Welches Bild habe ich vom Kind? Wie ist meine Haltung dem Team gegenüber? Und wie stehe ich zum Konzept der offenen Arbeit?

Schließlich müssen Kitateams sich darauf verständigen, wo ihre gemeinsamen Ziele liegen. Die Formulierung von klaren Zielen gibt dem Team Orientierung, um das pädagogische Handeln voranzubringen. Für was stehen wir als Team? Welche Schritte gehen wir gemeinsam, um wieder eine gute Zusammenarbeit im Team zu haben und eine gute Teamkultur zu leben? Und was braucht es eventuell an Unterstützung von außen? 

Wesentlich bei diesem Prozess ist es, jedes Teammitglied dort abzuholen wo es gerade steht mit all seinen Sorgen und Ängsten. Dafür müssen wir eine vertrauensvolle Teamatmosphäre und einen angstfreien Raum herstellen, in dem sich die Kolleg:innen öffnen können. 

Hilfreich ist es, sich die Ressourcen im Team genau anzuschauen und sich derer bewusst zu werden. Dann können wir sie in Zukunft besser nutzen und mit ihrer Hilfe Krisensituationen und Stressmomente besser meistern. Ein achtsamer Umgang miteinander erweitert unsere Wahrnehmung und hilft, uns positive Emotionen im Arbeitsalltag erlebbar zu machen. Mit diesen positiven Emotionen vergrößern wir unsere Ressourcen und schaffen tragfähige Beziehungen innerhalb des Teams.

Zum Beispiel kann jedes Team in der wöchentlichen Dienstbesprechung mit einem positiven Blitzlicht starten oder wir gehen in die Woche mit dem Slogan „Wir machen die Woche der gemeinsam geteilten Freude!“ 

Alle pädagogischen Fachkräfte teilen das Ziel, dass die Kinder bei uns und in unseren Einrichtungen gut aufgehoben sind. Dafür brauchen wir immer wieder den Mut zur Veränderung und das Vertrauen, dass wir diesen Weg aktiv, konstruktiv und gemeinsam gehen können.

 

Sabrina Stoll ist Leiterin einer Kita, Multiplikatorin zum infans-Konzept, Fachwirtin für Organisation und Führung und Referentin von BAGAGE

„Jede Veränderung birgt das Risiko des Scheiterns. Aber sie macht dich auch stärker, mutiger und bringt dich deinem eigentlichen Ziel immer näher.“ 
(Verfasser unbekannt)